Fragmente

Aus der Architektur des Realen in die Abstrakte der Malerei

„Der Künstler hat nicht die Aufgabe, irgendeine allgemein anerkannte Weltanschauung zum Ausdruck zu bringen, sondern seine eigene, einmalige Art von Leben und Erfahrung so kraftvoll und entschieden wie möglich auszudrücken.“ Hermann Hesse

Dieses Zitat vermittelt sehr präzise die Haltung des schöpferischen Schaffens von Raimund Wulz. Die Art des Arbeitens leitet sich aus seinem Inneren, stets in ehrlicher Auseinandersetzung mit dem was ist, mit dem was ihn im Moment berührt oder bewegt. Als ausgebildeter und mit Leidenschaft praktizierender Architekt, hat die Zeichnung im Leben von Raimund seit jeher eine besondere Bedeutung. Während 30 Jahren Berufserfahrung sind neben den Projektskizzen viele Freihandstudien entstanden.

Seine Architekturausbildung an der Akademie der Bildenden Künste in Wien, hat er, mit Auszeichnung abgeschlossen. Die prägendste Erfahrung aus dieser Zeit ist die Studienreise nach Nepal. Gemeinsam mit vier Freunden – drei Architekturstudierende und eine Malereistudentin – hat er drei Monate auf 3700 m in einem tibetanischen Dorf verbracht. Dies hat nicht nur seine Haltung zur Architektur und Baukultur bestimmt, sondern auch zum Leben, zum Dasein und Wertigkeiten im Leben insgesamt. Während dieser Zeit hat seine Anschauung zu Architektur,  sein Verständnis zum Raum, zur Kultur, Spiritualität eine gänzlich neue Bedeutung bekommen . 

Es entstanden viele Freihandskizzen und Zeichnungen. Diese sind über die Kraft des Strichs präsent. Viele davon sind im Taragon Museum in Kathmandu ausgestellt und dienen als einzigartiges Dokument des Baukulturellen Reichtums von Nepal. Sie sind der Öffentlichkeit zugänglich und haben den Zweck über die Bedeutung des anonymen Bauens ein Bewusstsein für diese besondere Qualität zu entwickeln. Aktzeichnen ist eine weitere Tätigkeit, welche Raimund seit seinem Studium bereits regelmäßig in seine Freizeit integriert. Das Studium des menschlichen Körpers, die Überlagerung von Bewegungsabläufen im Raum, sind Grundlagen, die er in Wöchentlichen Abständen praktiziert. Zarte, präzise Bleistiftzeichnungen wechseln bis hin zu gänzlich von Gestalt befreiten Tuschearbeiten, die den Ausdruck des Wesens auf das Papier in völlig freier Form bringen. „Am besten gelingt es in die Zeichnung einzutauchen, wenn der Kopf gänzlich ausgeschalten ist“, so der Künstler, “wenn die Hand den Bewegungen aus dem Inneren zu folgen beginnt…“ Der Prozess des Aktzeichnens ist dann eine Art Improvisation – ähnlich wie in der Musik – denn sobald die Proportionen verinnerlicht sind, ist eine gänzlich neue und freie Ausdrucksart möglich.

Im Sommer 2016, während eines Sommerkurses im Hoke Werkhaus in Saager, hat Raimund Wulz seinen persönlichen Zugang in die Malerei gefunden. Hier hat er eine völlig neuen Dimensionen des künstlerischen Schaffens für sich erarbeitet. Er fand die Freiheit sich aus dem Realen zu lösen, aus dessen Struktur und Ordnung auszubrechen, das Gegenständliche aus dem tiefsten Inneren der eigenen Erfahrung auf der Leinwand aufleben zu lassen.

„Ich suche nicht, ich finde.
Suchen, das ist das Ausgehen von alten Beständen
und das Findenwollen von bereits Bekanntem.
Finden, das ist das völlig Neue.
Alle Wege sind offen, und was gefunden wird, ist unbekannt.
Es ist ein Wagnis, ein heiliges Abenteuer.
Die Ungewissheit solcher Wagnisse können eigentlich nur jene auf sich nehmen,
die in der Ungewissheit, Führerlosigkeit geführt werden,
die sich vom Ziel ziehen lassen und nicht selbst das Ziel bestimmen.
Dieses Offensein für jede neue Erkenntnis im Außen und Innen:
Das ist das Wesenhafte des modernen Menschen, der in aller Angst des Loslassens
doch die Gnade des Gehaltenseins im Offenwerden neuer Möglichkeiten erfährt.“
Pablo Picasso

Mit Aufregung, Spannung, fast neuralgischer Ehrfurcht beginnt der Schöpfungsprozess jeder einzelnen Arbeit. Linien und Flächen überlagern sich, indem Gefühle und Emotionen präsent sind. Es entsteht ein Dialog zwischen dem Künstler und dem „großen Ganzen“. Das Unbewusste bekommt Raum und materialisiert sich… Es geschieht in einem sehr intensiven Schaffensprozess bei absoluter Hingabe und Selbstauflösung, indem die Hand über das stetige Tun eine neue Harmonie und Ordnung gestaltet.  Die Experimentierfreudigkeit indem das Wahre und das Unverfälschte eine Basis schaffen, zeichnen die Werke aus. Erdpigmente, Asche, Leim und Kleister  ergänzen sich harmonisch. Themen wie Tod, Auferstehung, Abschied, Trauer, Liebe, Familie, Transzendenz, sowie  Sehnsucht in die Ferne nach dem geheimnisvollen Nepal lassen Motive entstehen.

….. wie der Rhythmus der Drehung von Gebetsmühlen, der unzähligen Wiederholungen von Mantras, die aus diesen Gefühlen heraus Gestalt annehmen… 

Das zeitlich knappe hintereinander folgende Ableben seiner Mutter und zwei ihrer Geschwister hat viele Zusammenhänge im Abschiednehmen, aber auch in der Frage des danach – die in der Bedeutung vom Tod und Auferstehung verwebt sind- aufgeworfen. Die Architektur hat ihren besonderen Platz in der Malerei von Raimund Wulz – denn daraus ergibt sich eine fruchtbare Dynamik. Das Schöne verwebt sich in warmen Nuancen, die Bilder leben über die Überlagerungen vieler Schichten, die Tiefe der Farbflächen und strahlen in einer eigenen Ausdruckskraft. Ebenso werden in der künstlerischen Arbeit von Raimund viele Themen, Schwerpunkte und Missstände unserer Welt und Gesellschaft verarbeitet. Wie zum Beispiel die unmöglichen Lebensbedingungen von Kindern und Menschen, welche den Mittelpunkt des Films von Wim Wenders „Salz der Erde“ prägen. Sie finden Raum in großformatigen Bildern der gleichnamigen Serie. Während die Gedanken und Gefühle um diese Missstände, den Schmerz, die Hilflosigkeit und Ratlosigkeit kreisen, zeichnet die Hand diese Geschichten und lässt Figuren, Symbole und Farben aus dem Nichts entstehen, welches zu einer inneren Auflösung der Gefühle führt und zu dieser  Hilflosigkeit Abstand schafft.

Die Malerei bietet Trost, schenkt Mut, zeigt Wege, schenkt Liebe, deckt Verborgenes auf – weil sie echt und authentisch ist – Sie kommt aus dem tiefsten Unterbewusstsein und zeigt die Unmittelbare Wahrheit von Raimund Wulz….Sie ist ein Ventil indem alles Platz hat und einen wunderbaren Raum aufmacht…

„Die Schönheit in der Kunst schließt das Gegensätzliche ein und heißt Wahrheit“

„Kunst ist eine Sprache, die Verborgenes aufdeckt, Verschlossenes aufreißt, Innerstes fühlbar macht, die mahnt – erregt – erschüttert – beglückt. … Ein Kunstwerk, das anregen, bewegen will, braucht die qualifizierte Ablehnung genauso wie die Zustimmung. Wo der Status quo nicht in Frage gestellt wird, wird die Kunst an den vordergründigen Erfolg verraten – und dazu ist kein echter Künstler bereit“.  
Nikolaus Harnoncourt