Soglio Zuoz

Wenn ich auf die Herbstexkursion von aut nach Zuoz und Soglio zurückblicke, erinnere ich mich an ein sehr dichtes, warmherziges und einzigartiges Wochenende. Kann gedanklich wieder diesen verfrühten Wintereinbruch in mein Gedächtnis zurückholen. Während die ersten tanzenden Schneeflocken hinuntereilten lief die Musik von Lhasa ruhig und sanftmütig im Auto und hat uns in eine Ferne eintauchen lassen, die sich abseits klassischer Architekturreisen bewegt. Lange her liegt der Artikel über Ruinellis Soglio in der bauwelt, lange trage ich das Fernweh für diesen Ort in meinem Herzen. Steile Hänge und Straßen führen uns nach St. Moritz, während dort der Winter im Spätherbst Einzug hält. Warmherzigkeit, Duft des Kaffees und das frische Gebäck erwarten uns im Atelier von Hans Jörg Ruch. Architektur in Wort wird gelebt. Wohltuend der rohe Werkstattcharakter, die Wärme die uns umgibt. Hochwertige, großformatige Kunst besetzt viel Raum, stimmt ein, bringt Vielschichtigkeit, mildert die Rohheit. Die gewählte Sprache des Architekten führt uns über die Modelle und Pläne zu den Inhalten, die sehr speziell sind. Sorgfältige Dokumentation zeugt von sorgfältig geplanter Arbeit, von Tiefe im Denken und Realisieren. Die anschließend besichtigten Um- und Neubauten haben uns fasziniert und gleichzeitig wehmütig gemacht, weil Projekte dieser Art in Österreich kaum anzutreffen sind. Weil das Verständnis oder die Mitteln fehlen, oder Bewusstsein über die eigene Identität im weiteren Sinne, die diese historisch gewachsenen Orte reflektieren.

Wir verfügen über viel Zeit, die uns es möglich macht in einzelne Bauten einzutauchen, Fragen zu stellen, Ergänzungen und Ausführungen des Architekten zu vernehmen und uns einzulassen auf diese atmosphärisch faszinierenden Räume. Die Architektur überzeugt uns, weil sie auf eine fundierte Auseinandersetzung mit der Geschichte des Engadinerhauses basiert und mit dem notwendigen Abstand ergänzt.

Nachdenklich nehmen wir den Weg auf Soglio. Steile Serpentinen, lebbare Schneefallgrenze, während
Schneeflocken in zarte Regentropfen übergehen und mit den abziehenden Wolken als Glänzen des Asphalts zurückbleiben, kommen wir in Soglio an. Fasziniert von der Kraft, von der Magie, von der Ausstrahlung lassen wir mit dem Gepäck die Müdigkeit im Hotel und flanieren, um die Frische nach dem Regen zu atmen, den Anblick der umgebenden Bergkulissen zu genießen und ein intuitives Gefühl für den Ort zu spüren. Zaghafte Sonnenstrahlen, schimmern durch die Zwischenräume im Straßenbild und sorgen für wohltuende Atmosphäre.

Stein und Holz prägen das Ortsbild – steingemauerte Häuser, Stein deckt die Satteldächer, Stein bildet den Straßenbelag. Mit der Zeit dunkelverfärbtes Holz bildet die Ausfachungen bei den Scheunen und ergänzt die Materialität bei den Obergeschossen. Die Gebäude folgen auf natürliche Weise der Topografie der Landschaft und wachsen mit dem Hang, während die Straßen entsprechend steile Verläufe bilden. Die Silhouette von Kirche und Palazzo als markante Bezugspunkte brechen den Eindruck dieser homogenen Einheit und bilden besondere Mittelpunkte.

Mit der nähernden Abendstunde begegnen wir Armando Ruinelli. Offenherzig und sensibel ist der Architekt, der uns an der Schwelle seines Ateliers erwartet. Das Gebäude ist sehr unauffällig, inmitten des Ortes bescheiden eingefügt, mit einer Hülle aus ungleichmäßig ergrautem Holz, sehr reduziert mit bewusst gesetzten Öffnungen. Der spartanisch eingerichtete Raum hat eine subtile Ästhetik, bietet einen
menschlichen, geerdeten Eindruck. So auch seine Arbeit mit dem Fokus auf dem Ort, in dem er aufwuchs. Vertraut mit der Geschichte, mit viel Gespür für Material, Form und Proportion baut er weiter. Wacht über dem Geist des Ortes, weil er emotional tief verwurzelt mit ihm ist.

Der gemeinsame Spaziergang am darauffolgenden Tag offenbart uns verborgenen Plätze, lässt uns die Kraft des Erzählten spüren. Sehr individuellen Charakter tragen die Um- und Neubauten Ruinellis, beeindruckend, haptisch anziehend, sehr sensibel. Spartanisch bei gleichzeitig zeitgemäßem Komfort. Die Materialien bleiben konstant – Stein als gestampfter Beton, Holz, außen sägerau und blank, innen geölt. Die Fenster sind so positioniert, dass sie besondere Sichtverbindungen ins Freie schaffen. Durch die Höhenstaffelung der Siedlung und durch die dichte Bebauung ist das Dach oftmals das dominierende sichtbare Element, somit prägt Stein als Konstante das Erscheinungsbild des Ortes. Wechselnde Stimmungen bringen die tief hängenden Wolken.

Heute noch ist die Intensität des Erlebten in mir spürbar, weil diese Orte den Geist des Bestandes tragen und weiterleben lassen, weil solche Orte berühren und Heimat bilden, archaisch, schlicht im eigenen Zeitrhythmus, indem sie uns auf die Wurzeln unseres Wesens zurückführen. Schätze mich dankbar und glücklich, diese verborgenen, geheimen Orte gesehen zu haben, die in der heutigen dichten Zeit Inseln der Ruhe bilden, die traditionell greifbar sind und emotional tief berühren.

Dora Iliova fürs Architekturhaus Kärnten